Wednesday, February 16, 2011

G.O.R.

…steht für Great Ocean Road, einer Straße, die südlich von Melbourne den Pazifik entlang Richtung Adelaide führt, vorbei an Unmengen traumhafter Strände und reichlich Nationalparks mit Buschland und allem, was man sich halt noch so wünscht, wenn man einen Roadtrip macht. Der Schreiberling machte ihn und wurde auf seiner Reise von vier Mädels begleitet, welch Umstand an sich schon ein höchst glücklicher war. Um der Wahrheit die Ehre zu geben war ich selbst nur Begleiter, denn unser Gefährt wurde von einer dreiundzwanzigjährigen Engländerin namens J (gesprochen Jeih) gemietet. Außerdem mit an Bord waren noch Kristina (21, Deutschland), Elisa (27, Italien) sowie Julia (26, Deutschland).
Unser Automobil war ein geräumiger Ford Falcon (wem immer das was sagt), der dennoch einige Mühe hatte, fünf Personen einschließlich Gepäck im Innenraum unterzubringen. (s. Foto) Zuallererst benötigte das Vehikel freilich einen Namen, und der erste Wettstreit im Kampf der Geschlechter ging ziemlich eindeutig an den Verfasser, wobei ihm entgegen kam, dass eine der signifikantesten Aktivitäten seiner verflossenen Beziehung darin bestand, sich Pornonamen auszudenken. So fiel die Wahl schließlich auf Rocco, und alle, einschließlich des Wagens, schienen glücklich.
Der erste abendliche Halt führte uns an einen abgelegenen Strand, wo wir planten, illegal zu campen. Laut Angaben der Mietfirma war Rocco mit einem 2-Mann-Zelt ausgestattet, das auch drei Leuten Platz bot, so dass wir guten Mutes waren, dass alle 5 einen überdachten Platz finden würden. So begannen wir denn mit dem ebenfalls enthaltenen Campingkocher in einem viel zu kleinen Topf Stück für Stück unser abendliches Mahl zu bereiten. Das Wasser war noch nicht ganz am Kochen, als wir feststellten, dass das Zelt leider keine Zeltstangen enthielt, die, wie jeder Campingfreund weiß, nun mal essentieller Bestandteil eines jeden Zeltes sind.
Nach meinen Erfahrungen mit Elbos Roadtrips konnte mich diese Erkenntnis nun wahrlich nicht überraschen, und zusammen mit Elisa befestigte ich den Zeltboden mit den dankenswerter Weise enthaltenen Heringen. Für die Zeltspitze spannten wir ein Seil zwischen zwei Pflöcken, wobei einer der beiden sinnigerweise das Zeichen „No camping!“ trug. Das Ergebnis sah zwar nicht unbedingt aus wie Roncalli, und die Seiten hingen auch eher wie traurige Flügel schlaff herunter, aber mit der geeigneten Partnerin (klein und griffig) sollte es sich schon eine Nacht aushalten lassen.
Zufrieden mit unserer Leistung gingen wir zurück zur Kochstelle, wo inzwischen das Feuer ausgegangen war, weil die Gasflasche sich als leer entpuppte. Diese Neuigkeit erfüllte den Berichterstatter denn doch mit etwas Besorgnis, denn nichts ist bekanntlich schlimmer als ein knurrender Magen, und da es allmählich auf neun Uhr zuging, lag die letzte Mahlzeit schon um einiges zurück. Flugs gingen wir Holz sammeln, um ein Feuer am Strand zu entfachen, was neben dem praktischen Aspekt der Nahrungserwärmung auch noch einige romantische Augenblicke in Aussicht stellte. (Dass der zweite Pflock, der das Zelt hielt, die Aufschrift „No fire!“ trug, ignorierten wir geflissentlich.)
Dummerweise hatte niemand von uns Streichhölzer oder ein Feuerzeug parat, wobei mir zum ersten Mal die elementaren Unterschiede zum alljährlichen Paddelurlaub mit den „Jungs“ auffielen: Alles verdammte Nichtraucher! Und hier kam ein Mensch ins Spiel, der, wie sich bald herausstellte, den Namen Luke trug, und unsere Aktionen seit geraumer Zeit gemütlich in seinem Jeep sitzend verfolgte. Kristina fragte ihn nach einem Feuerzeug, Luke gab ihm eins, und ich machte Feuer (das war das zweite Mal, dass mir die Unterschiede auffielen, denn ich kann mich nicht erinnern, dass ich auch nur während eines Paddelurlaubs einer solchen Beschäftigung nachgegangen wäre, bzw. hätte nachgehen müssen.)
Umso überraschter war ich, dass denn tatsächlich eine Flamme aufloderte (dem trockenen australischen Buschholz sei Dank) und den mittlerweile dunkelnden Abend mit Licht und Wärme erfüllte. Voller Stolz warf ich Scheit um Scheit ins Feuer und war kurz davor, die vorbereiteten Ingredienzen ihrer Bestimmung nach zu erhitzen, als Kristina plötzlich ankam und offenbarte, dass Luke uns alle zu sich in sein Ferienhaus eingeladen hatte, das genug Platz für alle bot, und wo wir auch in Ruhe zu Ende kochen konnten.
Nun wird der fleißige Leser dieses Blogs wissen, dass dem Verfasser nicht zum ersten Mal australische Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft widerfuhr. Dennoch fühlte ich mich ein bisschen an der Ehre gepackt, denn zum einen war mir klar, dass wenn ich nach dem Feuerzeug gefragt hätte, ich selbiges mit den besten Wünschen erhalten hätte, und zum anderen hatte ich mich bereits ein wenig in das Feuer verliebt. Doch schließlich obsiegte die Vernunft und die Aussicht auf eine gemütliche Schlafstätte, und nachdem wir J überzeugt hatten, dass Luke wohl eher nicht zu der Kategorie Triebtäter zu zählen ist (was freilich niemand mit Bestimmtheit zu sagen vermochte), machten wir uns gemeinsam mit ihm auf den Weg in seine Datsche.
Luke war denn tatsächlich kein Triebtäter, wie sich am nächsten Morgen bestätigte, als alle unversehrt aus ihren Kojen gekrochen kamen. Wieder einmal hatte es sich erwiesen, dass bei unvorhergesehen Problemen in Australien der beste Weg darin besteht, einfach auszuharren und sich möglichst unbeholfen anzustellen, dann naht über kurz oder lang Rettung. Vor der Weiterfahrt beschlossen wir, nochmal unser gesamtes Gepäck aus- und neu einzuräumen, um Roccos Stauraum noch effektiver nutzen zu können. Bei dieser Gelegenheit fanden sich auch die Zeltstangen wieder an, ein Umstand, über den wir Luke indes nicht in Kenntnis setzten…
Derart gerüstet ging es weiter am Pazifik entlang, wobei es dem Verfasser oblag, die doch etwas gesprächsfaule Meute mit diversen Rätseln aus seinen Englischkursen zu erquicken. Die zweite Nacht verbrachten wir im Regenwald und praktizierten die 2-Mann-im-Zelt-3-im-Auto-Kombination, die sich als maßgebend für die Zukunft erwesien sollte. Komfortabel war es freilich nicht. Immerhin schafften wir es, unser erstes Mahl in der freien Wildbahn zu kochen, auch wenn es erst gegen 23.00 Uhr fertig gestellt war. Zusammen mit einem Pärchen aus München unterhielten wir uns den Rest des Abends (bis etwa um drei) darüber, welche Körperteile man denn am anderen Geschlecht als erstes ins Auge fasst und ob man, wie beim Berichterstatter gegeben, die entsprechende Person sofort in eine potenzieller-Sex – kein-potenzieller-Sex Kategorie klassifiziert.
Am nächsten Tag bekamen wir schließlich die ersten Koalas zu bestaunen, wobei ein besonders schläfriges Exemplar im Eukalyptusrausch scheinbar soweit den Baum runtergerutscht war, dass es sich in Griffweite befand. Davon machten insbesondere die weiblichen Insassen unseres Vehikels ausgiebig Gebrauch, begleitet von den für das schöne Geschlecht so typischen verbalen Zärtlichkeitsbekundungen, die das offensichtlich unter Drogen stehende Tier jedoch völlig unbeeindruckt ließen. Nach gefühltem zweistündigen Ah und Oh konnten wir denn auch weiterfahren.
Ein Highlight ganz anderer Art waren die alsbald auftauchenden 12 Apostel, vom Meerwasser erst abgetrennte und dann ausgewaschene Felsbrocken, die sich wie an einer Schnur aufgereiht die Brandung entlang ziehen. Mutter Natur hat mittlerweile ordentliche Arbeit geleistet, denn von den einst 12 Jüngern stehen nur noch acht, die auch eines Tages verschwunden sein werden. Imposant waren sie allemal. Ein vergeblicher Versuch, Pinguine an einer anderen Klippe bei ihrem Heimweg aus der See zu beobachten, endete damit, dass wir gegen 22.00 immer noch keine geeignete Schlafstätte gefunden hatten, sodass wir wieder einmal zur Improvisation gezwungen waren. Diesmal musste ein Carpark herhalten, in dessen buschiger Umgebung sich auch tatsächlich ein ebenso gemütliches wie verstecktes Fleckchen für unser Zelt fand. Dinner gab es gegen 23.30, trinken wollte außer dem Verfasser danach keiner mehr.
Die folgende Nacht gönnten wir uns eine Herberge bei Harold und Sally, die zusammen etwa 212 Jahre alt waren, in absoluter Abgeschiedenheit in der Nähe eines Leuchtturms residierten und ein paar alte Campervans zu einem Hostel umfunktioniert hatten, dessen Gästebuch seit zehn Tagen keinen Eintrag gezeigt hatte. Wer schon einmal Psycho gesehen hat, wird die Gedankengänge nachvollziehen können, die den Schreiberling bei dieser Art von Akkomodation beschäftigten. Wider Erwarten wurden wir jedoch nicht gehäutet, gegrillt und verspeist und konnten am nächsten Morgen die vorletzte Etappe unseres Trips in Angriff nehmen.
Sie führte uns in den Coorunga National Park, einem riesigen Strandareal entlang der Küste, nurmehr gute 300km von Adelaide entfernt. Hier beschloss ich, es sei Zeit, mit der 2-im-Zelt-3-im-Auto-Tradition zu brechen (auch, aber nicht ausschließlich weil die Gesellschaft im Zelt nicht vielversprechend war), und verbrachte die Nacht am Strand. Der Weg vom Carpark zum Beach war etwa 1,5km lang, was um zwei Uhr morgens nicht unbedingt einladend war, aber der Sternenhimmel in Verbindung mit dem Brausen der Wellen entschädigte für mehr als das.
So kam es, dass der letzte Tag unserer Reise anbrach, ein eher ereignisarmer 3-Stunden-Trip nach Adelaide, wie wir glaubten. Doch nachdem wir eine Viertelstunde davon hinter uns gebracht hatten, beschloss Rocco, dass er auch noch etwas Spaß haben wollte. Bei Tempo hundert klappte plötzlich die Motorhaube hoch und schlug gegen die Windschutzscheibe, die den physikalischen Gesetzen gemäß zersplitterte ohne dabei völlig zu Bruch zu gehen. J besaß die Geistesgegenwart, auf dem linken Strandstreifen zu halten (wie sie später offenbarte, hätte sie es auch für möglich gehalten, im Schock in den vorbeifahrenden Truck zu lenken, was mir einigermaßen zu denken gab), und alle stiegen aus, um das Malheur zu begutachten.
Nun war es wie erwähnt nicht das erste Mal, dass dem Berichterstatter in Australien seltsame Dinge mit Automobilen widerfuhren. Deswegen war mein erster Impuls auch zu lachen und abzuwarten, wer uns denn diesmal aus dem Schlamassel befreien würde. Allerdings bedeuteten mir die Gesichter meiner Reisegefährten, dass eine solche Reaktion hier eher unangebracht war. Ein Telefonat J’s mit der Mietfirma führte dazu, dass sie erstmal in Tränen ausbrach und sich setzen musste. Der Typ am anderen Ende der Leitung hatte, nachdem über den Vorfall informiert, in einem Anfall von Empathie nichts Besseres zu sagen gewusst, als dass noch nie die Motorhaube während der Fahrt hochgekommen wäre und wir den Schaden selbst bezahlen müssten. Ohne nach dem Befinden zu fragen, versteht sich.
Außerdem wollten die Jungs und Mädels von der Zentrale, dass wir den angeschlagenen Rocco bis zur nächsten Werkstatt bringen sollten, die ungefähr 150km entfernt war, wo dann bis morgen die Windschutzscheibe repariert werden würde. Das Problem war indes, dass sich die Motorhaube nicht schließen ließ, und die Aussicht, dass sie beim nächsten vorbeifahrenden Truck wieder Hallo sagen würde, erfüllte niemanden mit großer Begeisterung. Also tuckelten wir bis zur nächsten Ortschaft, wo uns dankenswerter Weise ein paar Arbeiter mit einem starken Seil aushalfen, das den offenen Schlund Roccos zuverlässig schloss. Mit neuem Selbstvertrauen ausgestattet beschlossen wir, die gesamte Strecke bis Adelaide zu absolvieren und das Gefährt dort den dunklen Mächten zu überlassen. Was wir denn auch taten. Die 500 Dollar Bond hat die Firma erstmal einkassiert, und es wird sich zeigen, ob wir etwas von dem Geld wiedersehen, aber wie ich bereits beim abendlichen Bier in Adelaide sinnieren konnte, habe ich schon wesentlich mehr Geld für wesentlich weniger Abenteuer ausgegeben.



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