Thursday, December 30, 2010

Port Arthur...

…befindet sich auf der tasmanischen Halbinsel im Südosten des Eilands und diente bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts als Sträflingskolonie. Was heutzutage wie eine idyllische Parkanlage aussieht, eingerahmt von dicht bewachsenen Hügeln auf der einen und malerischen Buchten auf der anderen Seite, war für die verruchtesten und meist geachteten Geschöpfe des britischen Empires das sprichwörtliche Tor zur Hölle. (Ein Hafen in der Nähe Hobarts trug zur damaligen Zeit auch tatsächlich den Namen Hell’s Gates).
Vormals in der Nähe Hobarts gelegen, siedelte man die Sträflingskolonie in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts nach Port Arthur um, weil die Halbinsel nur durch ein winziges Nadelöhr von 500m Breite (Eaglehawk’s Neck) zu passieren und dementsprechend leichter zu kontrollieren war. Ausbruchsversuche waren selten und noch seltener von Erfolg gekrönt. Was die Wachtrupps nicht schafften, übernahmen Hunger und Erschöpfung in der an Nahrung kargen Umgebung. Trotzdem gab es natürlich immer wieder Desperados, die das Risiko der Flucht dem endlosen Dahinsiechen im Lager vorzogen, wie wir von solchen Klassikern wie Papillon oder Lebenslänglich kennen.
Die meisten wurden also wieder eingefangen bzw. kamen von selbst zurück, und zu dieser Zeit entbrannte ein humanitärer Disput darum, welche Art der Bestrafung für solche Kreaturen die beste sei. Man entfernte sich zusehends vom blinden Auspeitschen (Todesstrafen wurden nur höchst selten ausgesprochen) und ging mehr dazu über, den Menschen durch Konfrontation mit der Bibel (alle Sträflinge mussten zum Gottesdienst) und vor allem sich selbst zu läutern und innerlich zu erbauen. Dies geschah in Form von Einzelhaft, in der die Häftlinge genug Gelegenheit hatten, über sich selbst und ihre Taten nachzudenken. Darüber sprechen durften sie nicht, denn es herrschte absolutes Schweigegebot. Unwillkürlich mussten Elbo und ich beim Betrachten der folgenden Tafel an Ruben denken, und wie es ihm wohl ergangen wäre, wenn er vier Wochen lang kein Wort reden dürfte…
Ein weiteres Highlight unseres Trips um die Halbinsel war der Tasman Devil Park, wo wir neben einigen anderen australischen Tierklassikern auch endlich die Teufel zu sehen bekamen. Die kleinen Racker haben momentan ziemliche Probleme, weil eine Art Krebs sich wie ein Lauffeuer durch ihre Population verbreitet und bereits 80% der selbigen dahingerafft hat. Die tasmanische Halbinsel ist eines der letzten Refugien, weil sich die Krankheit aufgrund des schmalen Zugangs noch nicht bis hierhin ausgebreitet hat.

Von seinem Wesen her, das wurde uns klar, als wir einer Fütterung beiwohnten, ist der Tasmanische Teufel ein gebisskräftiger Sozialdarwinist und erinnert in seiner Physiognomie und seinem sozialen Verhalten doch stark an Jautzi. In der abgebildeten Höhle befinden sich eine Mutter mit ihren vier Jungen, und als wenig später ein paar Stücken Wallaby über die Mauer flogen, ging ordentlich die Post ab. Mama Devil schnappte sich einen Batzen Aas und stratzte damit davon, während die kleinen Devils hinterher jagten oder sich um die anderen Fleischhappen balgten. Dieses Spielchen läuft eine ganze Weile, und nur die stärksten bekommen die saftigsten Portionen.
Von der ersten Minute ihres Lebens müssen die Devils um ihre Existenz kämpfen. Ein Wurf beinhaltet um die 20 Junge, die im Übrigen nicht größer sind als ein ungekochtes Reiskorn, für die jedoch nur vier Zitzen zur Verfügung stehen. Sich durchzusetzen ist also von Beginn an die oberste Maxime. Daher auch das energische Kämpfen um jeden Bissen Fleisch, wobei nicht selten Blut fließt (deswegen auch die hohe Übertragungsrate der Seuche). Begleitet wird das Ganze von einem ständigen Fauchen, Grunzen und Schmatzen, so dass man das Gefühl hat, vier geklonte Kalle Binias vernichten eine Packung Kartoffelchips.
Apropos Vernichtung: Das Wallaby bzw. die Teile davon werden vollständig beseitigt, und wenn man außenstehend die Knochen knacken hört, unterdrückt man den vor der Fütterung noch allgegenwärtigen Wunsch, die possierlichen Tierchen zu streicheln. Krokodile sind die einzigen Tiere auf dieser Welt, die einen stärkeren Kiefer besitzen als die Devils. Selbst auf die Jagd gehen können sie freilich nicht, dazu sind sie zu langsam und zu dumm. Allerdings können sie auf der Suche nach Aas Distanzen bis zu 20 Kilometern laufen, was nun wiederum gegen einen Vergleich mit Jautzi spricht.
Mitgenommen haben wir keins, auch wenn Elbo energisch darauf drängte. Wir konnten uns einfach auf keinen passenden Namen für den Racker einigen…

No worries

Tuesday, December 28, 2010

Hobart...


…ist die Hauptstadt des tasmanischen Eilands. Über eine gehörig große Fläche verteilt leben hier etwa 220.000 Menschen, was sie zur größten Tasmaniens macht. Der Flughafen erinnert von seinen Ausmaßen her freilich eher an die Bahnhofsvorhalle in Schönebeck, nur dass es dort meines Wissens keine Drogenhunde gibt. Hier schon, doch das putzige Tierchen beschnüffelte ergebnislos die Habseligkeiten des Schreiberlings, denn weil ich ein vorausschauender Mensch bin, hatte ich meine zwei Kilo Koks schon während des Flugs weggezogen. Um wach zu bleiben.
Elbo kam erwartungsgemäß eine halbe Stunde zu spät und gemeinsam ging es dann in seinem Boliden zu Markus, einem alten Bekannten von ihm, bei dem er sich für unabsehbare Zeit einquartiert hat. Die Straßen Hobarts lassen sich am besten mit denen San Franciscos vergleichen: Keine Flachetappen, stattdessen ständiges Rauf und Runter. Schnaufend und ächzend kämpfte sich Elbos Gefährt die bergreiche Gegend entlang, wobei Markus‘ Haus sich sinnigerweise in der Hills Street befindet. Schließlich kamen wir an einer Ampel zum Stehen und hatten die Wahl, geradeaus den kurzen aber beschwerlichen Bergpass der Molle Street zu überwinden (eine Einbahnstraße mit gefühlten 60% Steigung) oder außen rumzufahren. Von Hause aus mit viel Optimismus ausgestattet entschloss sich Elbo für den kürzesten Weg und ließ sich auch nicht von des Schreiberlings interessierter Frage (‚Bist du sicher, dass er das packt?‘) in seinem Tatendrang bremsen.
Wir schafften etwa vier Fünftel des Hangs, dann ging dem bedauernswerten Vehikel die Puste aus. Elbo haute den ersten Gang rein und jagte den Motor nochmal richtig hoch, doch es war zu spät. Einige Sekunden lang standen wir auf der Stelle, und begleitet vom jaulenden Geräusch der tapfer kämpfenden Maschine hielt die Weltgeschichte für ein paar Augenblicke den Atem an. Dann begannen wir langsam zurückzurollen. Ein Blick nach hinten sagte uns, dass sich inzwischen einiges an Publikum angefunden hatte, bzw. sich eine wartende Schlange an Autos angesammelt hatte, die nur zu gern passieren würde. Daraufhin fällte Elbo eine Entscheidung, die jeder an seiner Stelle genauso getroffen hätte: ‚Wir müssen wenden!‘ sagte er entschlossen, aber seine Stimme klang etwas heiser.
Wir ließen uns also ein bisschen zurückrollen und steuerten dabei nach rechts, um in vorbildlicher Weise den Ozzies zu zeigen, wie man in drei Zügen wendet. Leider kamen wir beim ersten Vorwärtsfahren noch nicht an den links parkenden Autos vorbei, so dass Elbo nochmal den Rückwärtsgang bemühen musste. Nun ist jener bei Elbos Mitsubishi dummerweise derjenige, der am meisten Widerstand leistet. Die ersten Schweißperlen zeichneten sich auf meines Freundes Stirn ab, als er ihn nach einigem Hin und Her Gerackle endlich drin hatte. Und genau das war der Moment, in dem uns der Sprit ausging…
Panik wäre sicher das falsche Wort, um die entstandene Situation treffend zu beschreiben, aber man kann durchaus sagen, dass die Lage gespannt war. Wir hatten unser Vehikel mit echt deutscher Präzision exakt mittig und quer zur Fahrbahn platziert, so dass keine Chance bestand, dass irgendjemand vorbeifahren konnte. Und es wollten mittlerweile einige vorbeifahren…
Einige der Fahrer in den ersten Reihen versuchten wir mit dem uns eigenen Organisationstalent dazu zu engagieren, die Kiste ein wenig nach hinten zu schieben, damit wir das Wendemanöver ordnungsgemäß vollenden können. (Elbo vertrat nämlich die Theorie, dass der Tank nicht vollständig leer war, sondern nur deshalb kein Benzin mehr in die Zylinder lief, weil wir so schräg standen. Ein Problem, dass sich von selbst lösen würde, wenn wir erst wieder ebene Erde unter uns hätten.) Also packten wir zu viert den Bullen bei den Hörnern und versuchten, ihn nach hinten zu drücken, während Elbo am Steuer sein Bestes gab. Das Ergebnis war, dass der Wagen noch einen Meter vorwärts an die parkenden Autos heran rutschte, bevor der Versuch wegen Quetschungsgefahr abgebrochen werden musste. Es half nichts, wir mussten Benzin holen gehen. Immerhin hatte sich die Straße hinter unserem Vehikel etwas geöffnet, so dass bei geeigneter Führung die mutigsten Fahrer passieren konnten. Diesen Part übernahm der Verfasser, während Elbo mit dem Benzinkanister loslief, allerdings nicht ohne vorher noch die Szenerie für die Ewigkeit festzuhalten, wobei dieses Foto entstand, dass schon beim letzten Blog zu sehen war.

Die nächste dreiviertel Stunde dirigierte ich also, mittlerweile etwa 40 Stunden ohne Schlaf, die ankommenden Fahrzeuge durch das Nadelöhr und begann mich zu fragen, ob ich Weihnachten nicht doch lieber mit der Familie verbracht haben sollte. Allerdings habe ich selten so viele erhobene Daumen, so viel Freundlichkeit und Dankbarkeit erlebt wie in dieser Zeitspanne. Jeder schien vor Dankbarkeit bersten zu wollen, weil ich, der offensichtliche Verursacher dieses Chaos‘, sie durch die enge Passage gestikulierte. Viele boten ihre Hilfe an, einer holte sogar einen Kanister Benzin heraus, aber weil Elbo unterwegs war, nützte das nicht viel. Auf jeden Fall wurde mir klar, dass Hobart eben nicht Schönebeck war.
Irgendwann kam Elbo schließlich zurück, und nachdem unser durstiger Motor das kraftspendende Nass gierig in sich reingeschlürft hatte, erfüllte er auch wieder seine Bestimmung und wir konnten problemlos wenden…
Konnten wir natürlich nicht, denn ein Umstand, der bisher noch keine Erwähnung gefunden hatte, aber nun außergewöhnliche Bedeutung gewann, war das eher als ausgedehnt zu beschreibende Spiel der Handbremse, was die Startphase zu einer sehr delikaten Angelegenheit werden ließ. Beim ersten Versuch rutschte das Vehikel getreu den Gesetzen Newtons gleichmal einen weiteren Meter nach vorn, und einen zweiten gab es nicht, denn unsere Stoßstange war damit noch etwa dreißig Zentimeter vom bereits erwähnten parkenden Volvo entfernt.
Guter Rat war nun natürlich teuer, aber da uns die Ideen immer erst als letztes ausgehen, überlegten wir uns, wie wir den Fahrer des Volvos ausfindig machen und ihn dazu bewegen konnten, sein Gefährt kurz wegzufahren, damit wir wieder genug Platz hatten. Erst riefen wir die Telefonnummer an, die auf dem Nummernschild angegeben war, erreichten aber erwartungsgemäß nur das Autohaus. Dann fragten wir ein paar Leute des ständig wechselnden Publikums, ob sie zufällig den Halter des Fahrzeugs kannten. Ergebnislos. Schließlich offenbarte ein Blick auf die Rücksitzbank ein Paket mit einer Adresse darauf, die wir durch weitere Gespräche mit Umstehenden lokalisieren konnten.
Also machte sich Elbo erneut auf die Socken, während es mir oblag, den Verkehr zu regeln, was ich mit der mir eigenen Gewissenhaftigkeit und Kompetenz mühelos erledigte. (Die Lücke war indes durch unser nochmaliges Vorrutschen größer geworden, was die Arbeit enorm erleichterte.) Eine weitere halbe Stunde ging ins tasmanische Land, als schließlich der Halter des Volvos auftauchte und, über die Situation informiert, anstandslos seinen Wagen ein Stückchen vorfuhr.
Damit war das Problem endlich gelöst, jetzt fehlte nur noch Elbo. Sinnigerweise hatte ich ihm, bevor er loslief, mein Handy überlassen, weil sein eigenes kein Guthaben mehr beinhaltete, damit er auf seiner Jagd nach Informationen jemand anrufen kann. Dieser Akt der Weitsicht verkehrte sich nun ins Gegenteil, da ich ihn nicht mehr anrufen und Bescheid geben konnte. So blieb nichts weiter übrig als auszuharren, wobei der quer stehende, traurig vor sich hin kauernde Mitsubishi, der nun hinten wie vorne über genügend Platz verfügte, im einsetzenden Regen Hobarts beredtes Zeugnis über die Gesamtsituation ablegte.
Aber wie so vieles im Leben ging auch das einmal vorbei. Nach einer weiteren halben Stunde kehrte Elbo zurück, berichtete mir Schweiß triefend von seinen wirren Abenteuern, denen ich in meinen Zustand jedoch nur sehr eingeschränkt folgen konnte, und wir kamen schließlich vor Markus´ Haus zu stehen, dass sich im Übrigen ziemlich genau drei Blocks weiter befand.
Ansonsten ist Hobart eine sehr schöne Stadt, in der es sich gut aushalten lässt. Am übernächsten Tag verließen wir sie, um auf der tasmanischen Halbinsel die ehemalige Sträflingskolonie Port Arthur zu begutachten und endlich ein paar tasmanische Teufel anzutreffen. Aber das wird Gegenstand des nächsten Blogs sein.
No worries

Saturday, December 25, 2010

Insomnia

Die Reise nach Australien begann standesgemäß, als ich um 5.04 angestrengt aber zuversichtlich die letzten Stufen zu Gleis 6 unseres geliebten Hauptbahnhofs erklomm. Der Schaffner pfiff, und das stählerne Ross setzte sich in Bewegung – nur leider ohne mich, denn Abfahrtszeit war 5.03 und der Zug pünktlich, vermutlich der einzige in ganz Deutschland an diesem so überaus schneereichen Tag.
Der nächste fuhr eine Stunde später; das ging noch, denn ich hatte mir in Kenntnis der eigenen Fähigkeiten ein relativ großes Zeitfenster gegeben. Dem Schaffner drückte ich noch vor Helmstedt 30 Euro in die Hand, worauf er mir überwältigt von derlei Generosität das Zugticket umbuchte. Von da an konnte mich nichts mehr aufhalten. Schlappe fünfeinhalb Stunden später hatte ich den Frankfurter Flughafen erreicht, und weil ich ein effektiver Mensch bin, nutzte ich die Wartezeit beim Check-In, um potenzielle Platznachbarn im Flieger zu begutachten, erste Mutmaßungen über unseren Aufenthalt in Shanghai mit anderen Mitreisenden auszutauschen und meiner Mutti zum Geburtstag zu gratulieren.
Ich liebe Langstreckenflüge. Beim Check-In hatte man mich gefragt, ob ich Window oder Gang sitzen wolle, und die Antwort war mir nicht leicht gefallen. Zum einen ist das eine schwierige Frage, denn am Fenster kann man mehr sehen, während der Gang mehr Beinfreiheit bereithält. Vor allem aber fragte ich mich, warum sie Window und nicht Fenster gesagt hatte, bzw. dann nicht wenigstens beide Objekte englisch bezeichnet hatte. In solcherlei philosophische Betrachtungen vertieft entschied ich mich jedenfalls für den Ausblick, wobei ich demonstrativ 'Fenster' sagte. Damit war klar, dass ich auf diesem Flug nicht würde schlafen können, denn ich besitze leider nicht die beneidenswerte Gabe einiger Artgenossen, selbst mit in den Bauch gedrückten Knien und wenig bis gar nicht durchbluteten Beinen jenem erholsamen Zeitvertreib zu frönen. Stattdessen las ich ein langweiliges Buch, verfolgte hin und wieder schlecht synchronisierte chinesische Sitcoms auf dem Bildschirm und beobachtete die flatternden Nasenhaare meines schlafenden Platznachbarn. Kurzum, die zwölf Stunden bis Shanghai vergingen sprichwörtlich wie im Fluge.
In Shanghai kamen wir um 8 Uhr morgens Ortszeit an, und das war auch in etwa der Moment, da sich meine zeitliche Wahrnehmung ins Nirwana verflüchtigte. Schlaftrunken trottete ich einem chinesischen Beamten hinterher, der meinen und anderer Reisender Pass konfisziert hatte und wortlos begann, Visumsstempel in die dafür vorgesehene Seite zu hämmern. Das fanden wir freilich erst heraus, als er die Namen der Passinhaber in die Runde bellte, die daraufhin ehrfurchtsvoll das Dokument in Empfang nehmen konnten. Auch ich war erleichtert, denn in meinem übernächtigten Zustand hatte ich mich bereits einer grellen Neonlampe und einem weiteren chinesischen Beamten ausgesetzt gesehen, der mich über meine konterrevolutionären Absichten befragte.
Achja, die Chinesen. Der Chinese, so wurde mir auf der anschließenden U-Bahn Fahrt in die Stadt klar, ist klein, aggressiv und häufig. Gerade die beiden letzten Faktoren werden wohl ausschlaggebend dafür sein, dass die Jünger Maos alsbald unseren Planeten beherrschen werden. Wuselig und rücksichtslos versuchen sie sich, ihren Platz an der Sonne zu ergattern, was im Fall einer überfüllten U-Bahn selbstredend die Bequemlichkeit versprechenden Sitzbänke sind. Für solcherlei Kämpfe war ich nicht gewappnet, so dass ich das Gefährt nicht erst am People’s Place, wie eigentlich beabsichtigt, sondern ein paar Stationen davor am Century Park verließ. Diese Wahl stellte sich als gut heraus, als ich meine Erlebnisse mit denen anderer Reisender verglich, die sich ins Gewimmel am People’s Place gestürzt hatten.
Der Century Park ähnelt nicht nur dem Namen nach dem Central Park in New York. Inmitten der Stein- und Stahlwüste der Metropole haben sie hier ein lauschiges, grünes Fleckchen Erde hingepflanzt, dass dem stressgeplagten Shanghaianer Ruhe und Erholung spendet. Um einen großen Teich konzentriert schlängeln sich grüne Alleen, Parks und botanische Gärten, und das gesamte Areal gewinnt noch an optischem Flair durch die Kulisse der gewaltigen Skyline, die sich an seinen Rändern auftürmt. Hier ließ es sich ein-zwei Stunden gut aushalten, bevor mich der Hunger packte, und ich mich wieder zurück ins Getümmel der Großstadt stürzte.
Wider Erwarten verlief ich mich nur so wenig, dass ich rechtzeitig am Flughafen zurückkehrte, um den Anschlussflug nach Sydney zu nehmen, der denn auch ordnungsgemäß um acht Uhr abends abhob. Hier hatte mich die Fügung des Schicksals neben eine dänische Blondine mit großen blauen Augen platziert, deren Vater als Konstrukteur von Luxusjachten Unmengen an Schotter verdient und sie in Peking in die beste Privatschule Chinas gesteckt hat, weshalb sie nicht nur hübsch, sondern auch überaus intelligent war. Wir unterhielten uns eine Weile lang angeregt, und ich schien sie ziemlich nervös zu machen, weil sie ständig auf dem Sitz hin und her rutschte und insgesamt keine Sekunde ruhig sitzen konnte. Sie war elf.
Das Gespräch erlahmte erst, als ich zugab, auf unseren Segeltrips mit Bavaria-Booten gefahren zu sein (wobei ich noch nicht mal weiß, ob das stimmt). Das erzählte sie flugs ihrem Papa, der mich voller Verachtung darüber aufklärte, dass Bavaria als Marke so ziemlich das schäbigste sei, was der Jachtmarkt so hervorgebracht hat. (Das waren nicht unbedingt seine exakten Worte, aber ich hatte das Gefühl, dass es das war, was er meinte.) Von da an war ich also unten durch und schaffte es tatsächlich, gute zwei Stunden zu schlummern, wobei ich nicht wirklich das Gefühl hatte zu schlafen, doch da ich später nicht wusste, wie die Zollerklärung auf meine Ablage gekommen war, musste es wohl so gewesen sein.
In Sydney entging ich dann knapp einer 200-Dollar-Strafe, weil ich vergessen hatte, die Apfelsine, die sich überraschenderweise noch in meinem Rucksack befand, auf besagter Zollerklärung anzugeben. Doch schließlich einigte ich mich mit der Zollbeamtin darauf, das corpus delicti zu entsorgen, und nicht viel später befand ich mich im Shuttle Bus zum Base Backpackers Hostel, das ich, weil ich ein weitsichtiger Mensch bin, im Voraus für eine Nacht gebucht hatte. Hier fiel ich zunächst in eine fünfstündige Narkose, aus der ich gegen sechs Uhr abends erwachte. Der erste Mensch, den ich traf, war schon wieder ein Däne, was ich angesichts der bescheidenen Größe unseres Nachbarlands doch recht erstaunlich fand. Er hieß Morten.
Wir hatten uns gerade bekannt gemacht, als ohrenbetäubender Lärm unsere Etage (die vierte) erfüllte. Gleich darauf drang eine betrunkene, grölende Horde in unser Zimmer ein, zerrte uns hinaus, zwang uns niederzuknien und flößte uns billigen Fusel in den Rachen ein. Begleitet wurde das Ganze von halbmelodischen Versen wie 'Let`s get fucking mental!', die alkoholschwanger über den Flur geschmettert wurden. Wie sich herausstellte, war dies der Staff des Hostels, der die Bewohner dazu animieren wollte, den Abend im anliegenden Scary Canary, dem Hostel-Pub zu verbringen, wo heute die Christmas-Party stattfinden würde. So zogen wir denn von Zimmer zu Zimmer und von Etage zu Etage, und es war aus psychologischer Sicht interessant zu beobachten, wie sehr - oder eben nicht – sich die Leute wehrten mitzukommen. Eine Chance hatte keiner. Im Canary unterhielt ich mit Morten bei diversen Jägerbombs und ein paar Bier über die Olsenbande und die Euro 92, die bekanntlich die Dänen mehr oder weniger aus dem Urlaub kommend gewonnen hatten.
Am anderen Morgen wachte ich um vier (Sydney-Zeit) auf und hatte neben der zeitlichen auch die räumliche Orientierung verloren. Als ich beides wiedergewonnen hatte, das war gegen acht, entschloss ich mich, die Stadt ein wenig zu erkunden und, so das Wetter es zulassen sollte, ein wenig im Hyde-Park abzumatten. Mein Flieger nach Tasmanien ging am nächsten Morgen um sieben, und der Plan war, schon gegen Mitternacht zum Flughafen zu fahren und dort die restlichen Stunden bis zum Check-In zu verbringen. Viel Schlaf war also wieder nicht in Aussicht.
Als Erstes stattete ich Jenny, Elbos Bekannter, einen Frühstücksbesuch in ihrem Coffeeshop ab. Sie hatte den Tag davor Geburtstag gehabt, aber aufgrund obiger Erlebnisse hatte ich es leider nicht mehr dorthin geschafft. Anschließend zog ich mir Opera House und Harbour Bridge rein und endete schließlich plangemäß im Hyde-Park. Hier döste ich gut eine Stunde und hätte diesen Zustand gewiss noch ausgedehnt, doch dann bemerkte ich, wie sich beim Stirnrunzeln die Haut spannte, und anhand dieses winzigen Indizes erkannte ich, dass es wohl an der Zeit sei, etwas Sonnencreme aufzutragen. Allein, es war bereits zu spät. Gegen Abend sah ich aus wie der Durchschnittsengländer nach seinem ersten Tag auf Mallorca, und die psychischen Schmerzen ob dieser Erkenntnis waren mindestens ebenso groß wie die physischen.
Dann ging es mit Sack und Pack und der U-Bahn zum Domestic Airport, wo ich mich gerade auf die Nachtruhe eingerichtet hatte, als ein Security-Mensch auftauchte und erklärte, dass der Domestic Airport über Nacht geschlossen würde und alle Personen das Areal zu verlassen hatten. Also wieder rein in die U-Bahn zum International Airport, wo in einer kleinen Vorhalle ca. 50 Menschen zusammen gepfercht waren, die wie die Asylanten auf ihre Ausreise aus der DDR harrten. Nach einigen ergebnislosen Versuchen, Schlaf zu finden, packte ich den Laptop aus und spielte bis zum Morgengrauen Schach gegen Fritz 11, wobei ich der Blechbüchse tatsächlich ein Unentschieden abringen konnte (mit nur dreimal Zug zurücknehmen…). Dann war es endlich halb sechs und die erste U-Bahn brachte mich zurück zum Domestic Airport (oder wie ich halb im Delirium im Gedenken an unseren Fastbundeskanzler vor mich hinbrabbelte: 'Ich steige in den Bahnhof ein!')
Im Flieger hatte ich eine ganze Sitzreihe für mich allein, aber anstatt diesen überraschenden Luxus zum Schnasseln zu nutzen, entschied ich mich, die letzten 50 Seiten von John Irvings The Cider House Rules zu Ende zu lesen. Hätte ich gewusst, was mich nach der Ankunft gleich erwarten würde, hätte ich es wohl vorgezogen zu schlafen. Aber dazu ein andermal mehr.

Hier schon mal das entsprechende Foto. Wer Lust hat, kann ja versuchen, eine geeignete Bildunterschrift zu kreieren und sie in den Comments zu verewigen.



Merry Christmas to Everyone!